Während die Welt um sie herum zerbröckelt, verwandeln Postcards ihre Wut in etwas Transzendentales.
Mit ihrem neuen Studioalbum Ripe nimmt das libanesische Trio alles auf, was sie in den letzten zehn
Jahren angesammelt haben, und streckt es in neue, unerwartete Richtungen. Ripe ist sowohl ein
Au;ruch als auch eine natürliche Entwicklung für die Band: rauer, dunkler, aber mit der gleichen
unbeirrbaren Entschlossenheit ‐ eine passende Antwort auf die Unruhen, die ihre Region derzeit
durchlebt.
Der Opener „I Stand Corrected“ lässt den Hörer sofort in eine neblige Klangwelt aus verzerrten Gitarren,
pulsierenden Rhythmen und Julia Sabras ätherischer Stimme eintauchen und endet mit dem
wiederholten Mantra „Destroy, rebuild, you know the drill“, das die Zyklizität ankündigt, die sich durch
das Album zieht. Ripe enthält Spuren des charakteristischen Dream‐Pop‐Sounds der Band, aber die
Energie des Albums ist zerklüftet, dringend und oft explosiv roh. Ein Großteil des Albums wurde live im
Haus der Familie vom Schlagzeuger Pascal Semerdjian in den libanesischen Bergen aufgenommen, und
das merkt man. Ripe fängt die Band im selben Raum ein, und bringt die Energie und Dringlichkeit ihrer
Live‐Shows ins Studio. Der langjährige Produzent Fadi Tabbal hat wieder einmal ein perfektes klangliches
Zuhause für die Songs geschaffen und dabei ein feines Gleichgewicht zwischen üppig und schwer
gefunden.
Sabra übernimmt dieses Mal den Großteil der Gitarrenarbeit, und ihr raues, gefühlvolles Spiel ist das
Herzstück dieser Platte. Marwan Tohme am Bass und Semerdjian am Schlagzeug haben verschiedene
Charakteristika, aber es ist die Summe dieser Teile und die Synergie zwischen ihnen, die wirklich alles
zusammenfügt. Die Band verfällt oft in hypnotische Grooves, wobei Tracks wie das neblige „Colorblind“
und das messerscharfe „Poison“ einen rhythmischen Puls offenbaren, der angesichts der Schwere und
Dissonanz des Materials überraschend wirkt. Und obwohl es eine bewusste Verschiebung von einem
früheren Synthie‐getriebenen Sound zu einer mehr gitarrenzentrierten Palette gibt, weben sich immer
noch atmosphärische Schichten durch das Album. Das Ergebnis ist ein Sound, der sich
sowohl intuitiv als auch ausladend anfühlt.
„Dust Bunnies“, die Leadsingle des Albums, bringt eine bedrohliche, beunruhigende Atmosphäre mit
sich, die an die düsteren Momente von PJ Harvey erinnert. Es ist eine Liste der Frustrationen, die das
Leben im Libanon mit sich bringt, die eine ursprüngliche, über Generationen weitergegebene Wut
anzapft und darin gipfelt, dass Sabra schmettert: „Our ancestors may have known / There's nowhere left
to go“. Diese fatalistische Perspektive wird in „Ruins“, einer kraftvollen Reflexion über Beharrlichkeit,
widerlegt: "Like roots among stones / We carry on". Während des gesamten Albums bewegt sich die
Band in den fragilen Räumen zwischen Hoffnung und Verzweiflung, Resignation und Widerstandskraft.
Diese Themen werden im Kontext des Heimatlandes der Band noch schärfer. Angesichts des
andauernden Krieges in Gaza und der Angriffe auf den Südlibanon ‐ die sich zwischenzeitlich bis nach
Beirut und darüber hinaus ausgebreitet haben ‐ kanalisieren Postcards die allgegenwärtige Gewalt in
ihrer Musik. Sie hatten schon immer eine politische Ausrichtung durch eine sehr persönlichen Blick.
Während die Gewalt immer näher rückt, setzt sich Ripe mit dem Leben im Libanon auseinander und
damit, was es bedeutet, zu bleiben. Aber die Band weigert sich, sich von der Dunkelheit auffressen zu
lassen. Ripe mag ein Album sein, das aus Wut, Trauer und Ungewissheit geboren wurde, aber es ist auch
ein Album des Trotzes. Es ist Postcards in ihrer wildesten, verletzlichsten und zugleich selbstsichersten
Form. Sie sind düsterer geworden, aber dabei haben sie eine neue Klarheit gefunden. Der Titel des
Albums spiegelt dieses Wachstum und diese Reife wider. Postcards' und unsere Welt mögen aus den
Fugen geraten, doch die Band bleibt selbstbewusst und fest verankert, mit tiefen Wurzeln in der Erde,
während ihre Musik in immer größere Höhen aufsteigt. Inmitten der Verzweiflung des ersten Tracks gibt
es einen Hoffnungsschimmer: „Hold on to you / I think I'm onto something“. In der Tat, diese Band hat
etwas vor. Und inmitten des Lärms, inmitten der Wut, haben sie etwas unheimlich Schönes geschaffen.