In seiner ersten Saison sorgte das delian::quartett bereits für Aufsehen.
Umjubelte Auftritte bei großen Musikfestivals brachten Wiedereinladungen,
die kommende Saison verspricht bedeutende Neuengagements. Zum Profil des
deutsch-französisch-rumänischen Quartetts zählt die regelmäßige Kooperation
mit Gastkünstlern – so konzertiert das Ensemble regelmäßig mit
Instrumentalisten wie Gérard Caussé, Dimitri Ashkenazy, Gilles Apap,
Andreas
Frölich, Ralph Manno und Mihaela Ursuleasa. Mit Armin Mueller-Stahl konnte
das delian::quartett einen echten Weltstar für gemeinsame Projekte mit
Lesung gewinnen. Auch auf ihrer Debüt-CD präsentieren die vier jungen
Musiker einen Gast: In Schumanns Klavierquintett übernimmt Igor Kamenz den
Klavierpart.
Adrian Pinzaru, violin
Andreas Moscho, violin
Aida-Carmen Soanea, viola
Romain Garioud, cello
Igor Kamenz, piano
Musik und Poesie:
Zu Robert Schumanns 1. Streichquartett
und Klavierquintett
An dem Verlaufe seiner Entwicklung als
Komponist [gemeint ist Robert Schumann]
lässt sich recht ersichtlich der Einfluss nachweisen,
welchen die von mir bezeichnete Einmischung
des jüdischen Wesens auf unsere Kunst
ausübte. Vergleichen Sie den Robert Schumann
der ersten und den der zweiten Hälfte seines
Schaffens: dort plastischer Gestaltungstrieb,
hier Verfließen in schwülstige Fläche bis zur
geheimnisvoll sich ausnehmenden Seichtigkeit.“
Dies schreibt Richard Wagner in seiner 1850
erstmals veröffentlichten Abhandlung Das
Judentum in der Musik.
Die Quelle für den jüdischen Einfluss auf
Schumann meinte Wagner freilich genau zu
kennen: Felix Mendelssohn Bartholdy. Ihm
wirft Wagner in derselben Schrift glättende
Kunstfertigkeit sowie mangelnde Tiefe und
„Herzensempfindung“ vor. Nichts anderes
meint der in der Nazizeit erfolgreiche Kritiker
Otto Schumann, wenn er 1940 in seiner
Geschichte der Deutschen Musik schreibt,
Mendelssohns Musik sei von „glatter Problemlosigkeit“
geprägt. Noch 1983 erschien
in Westdeutschland von Otto Schumann ein
Großer Konzertführer mit ähnlichem Gedankengut:
Von Mendelssohn’scher Glätte ist
dort zu lesen, „die unbehaglich wirkt“.
Doch zurück zu Wagners Äußerungen
über Robert Schumann: Rein äußerlich
betrachtet bereitete es Wagner keine große
Mühe, Indizien für seine Thesen heranzuschaffen.
Denn einerseits war es Schumann
selbst, der sich vor Mendelssohns Schaffen
verneigte. So schreibt Schumann seiner
Schwägerin Therese am 1. April 1836, er habe
zu Mendelssohn stets „wie zu einem hohen
Gebürge“ aufgeschaut. Andererseits sind die
drei Streichquartette op. 41 zu nennen, die
Mendelssohn gewidmet sind.
Wie das Klavierquintett op. 44 sind sie in
Schumanns reichem Kammermusikjahr 1842
und somit in jener zweiten Schaffenshälfte
entstanden, von der Wagner spricht. Durchaus
näherte sich Schumann in diesen Werken
jener „Klassizität“, die er an Mendelssohn so
lobte: Schon im Rahmen einer Rezension
von Mendelssohns Klaviertrio op. 49 hatte
Schumann über sein Vorbild einst vom
„Mozart
des 19. Jahrhunderts“ geschrieben.
Doch ganz so einfach ist es eben nicht, denn
es sind gerade die Mendelssohn zugeeigneten
Streichquartette, die zahlreiche weitere Einflüsse
und Ideen verraten.
Zu nennen wäre nicht zuletzt das 1. Streichquartett
a-moll. Der Kopfsatz beginnt mit
einer langsamen Einleitung, die den kirchenmusikalischen
Gestus eines Bittgesangs kaum
verleugnen kann. Mit einem Vordersatz, der
die Brücke zum Beginn des langsamen Satzes
aus Beethovens 9. Sinfonie schlägt, hebt wiederum
das Adagio an. Und schließlich taucht
am Ende der Durchführung des Finalsatzes
eine Wendung, bestehend aus zwei Halbtonschritten
mit Terz dazwischen, auf, die deutlich
an die motivische Keimzelle der späten
Streichquartette op. 130–133 von Beethoven
erinnert.
Doch setzt Schumann vor allem sowohl
mit dem 1. Streichquartett als auch mit dem
berühmten Klavierquintett Es-Dur jene personalstilistische
Idee fort, die man als poetische
Musik bezeichnen könnte. Dass Schumanns
Geisteswelt maßgeblich von Jean Paul und
dessen poetikzentrierter Ästhetik geprägt
war, ist bekannt. Tatsächlich sah Schumann
in der Poesie – wie er während einer Rede
im September 1827 ausführte – die „idealische
Welt“. In einem Brief an Clara Wieck vom
24. Januar 1839 fordert er, dass der Komponist
ein Dichter sein müsse.
Ganz im Sinne von Georg Wilhelm
Friedrich
Hegel verstand Schumann das
Poetische
der Musik als „Seelensprache“ und
Ausdruck von Gesinnung, was zugleich das
Romantische ausmacht; die Begriffe „romantisch“
und „poetisch“ waren für Schumann
Synonyme. Es ist gerade das Clara Wieck gewidmete
Klavierquintett, das die Reichweite
dieses ästhetischen Standpunkts verdeutlicht.
Herzstück des Werks ist der langsame
Satz, de facto ein Trauermarsch. In die Gattung
Sinfonie hatte Beethoven im zweiten
Satz seiner „Eroica“ erstmals einen Trauerzug
eingeführt. Mendelssohn komponierte
ein Beispiel im Lied ohne Worte für Klavier
op. 62/3 von 1841/44, berühmt geworden ist
der Marche
funèbre des dritten Satzes aus
Chopins Klaviersonate
op. 35 von 1836/39:
Tatsächlich ist der Trauergestus ein zentraler
Topos in der Romantik. Im Agitato-Abschnitt
des langsamen Satzes aus Schumanns
Klavierquintett ertönt zudem das „Es ist vollbracht“
aus Bachs Johannespassion. Im Finale
wiederum wird der Trauermarsch mit anderen
Themen des Werks verwoben.
Spätestens hier wird klar: „Das Klavierquintett
beeindruckt durch die große Ereignisdichte,
die ein Nachdenken über Struktur kaum
notwendig, nicht einmal sinnvoll erscheinen
lässt“, so Martin Geck. Es sind gerade diese
Ereignisdichte, Schumanns Offenheit für
Außermusikalisches und sein Konzept einer
poetischen Musik, die zumindest in Ansätzen
Wagners „Gesamtkunstwerk“ den Weg
bereiten. So befremden Wagners eingangs
angeführte Schumann-Äußerungen auch deswegen,
weil er sich selbst mit ihnen einen
Bärendienst geleistet hat.
Marco Frei