Songs of a Lifetime
Lieder eines Lebens – Die
Gesangszyklen von Iván Eröd
Er selbst sah sich gerne als
Opernkomponist, wiewohl man
ihn in Anbetracht von drei
gewichtigen Symphonien und
zahlreichen weiteren
Orchesterwerken ebenso als
Sinfoniker, aufgrund von drei
Streichquartetten, Klaviertrios
und vielem mehr als Meister
der Kammermusik und in
Hinblick auf sein
meistaufgeführtes Stück, den
einminütigen Chorsatz „Viva la
musica“, als virtuosen
Chorkomponisten bezeichnen
könnte. Vergleichsweise wenig
mag Iván Eröd als Schöpfer
von Liedzyklen im Bewusstsein
des Publikums verankert sein.
Und doch stand gerade dieses
Genre ihm vielleicht viel
näher, als man zunächst
denken würde.
Die Liedkomposition begleitete
Eröd oft in Verbindung mit
markanten äußeren
Ereignissen. Der junge Vater
widmete seinen beiden
erstgeborenen Kindern Adrian
und Juliette die auf heitere
Texte seines Freundes Richard
Bletschacher entstandenen
Milchzahnlieder op. 17
(1969/1973). Sie sind melodisch
im Stil einfacher Kinderlieder
gehalten und weisen
traditionelle Liedformen auf.
Bei aller harmlosen
Verspieltheit, die um 1970 das
ursprüngliche zweite Lied
„Radau in China-Town“
ausdrücken wollte, mag es der
heutigen „political
correctness“ nach
unangemessen erscheinen,
weshalb es auf der aktuellen
Einspielung ausgelassen wurde.
Sowohl eine Fortsetzung als
auch eine Weiterentwicklung
der Idee der
„Milchzahnlieder“ sind die
Krokodilslieder op. 28. Sie
entstanden 1979 und prägen
ein neues, sich gleichermaßen
an Kinder wie Erwachsene
richtendes Chanson-Genre.
Ein Schlüsselwerk für Eröds
Schaffen in den 1980er Jahren
war das um den Jahreswechsel
1981/82 komponierte zweite
Klaviertrio op. 42, das
tiefernst gehalten ist und
atmosphärisch eine Reaktion
auf die Verhängung des
Kriegsrechtes in Polen im
Dezember 1981 darstellt.
Dieser Ernst ist auch besonders
markant in den Vier Gesängen op.
44 von 1983 mit Texten Sergej
Jessenins und Ossip Mandelstams in
den übersetzungen Paul Celans.
Von durchgehend ernstem Charakter
ist auch über der Asche zu singen
für Mezzosopran und Klavier op.
65 (1994). Der Gesangzyklus knüpft
an einen früheren Plan an, mit
Bletschacher ein Requiem zu
erarbeiten. Die Lieder greifen diese
Idee indirekt auf, wobei der
Erlebnisgehalt der fünf Gesänge
einem Klagelied auf die während
des zweiten Weltkriegs verfolgten
und vernichteten Juden entspricht
und somit auch autobiographisch die
Szenerie aus Eröds Kindheit spiegelt.
Oft versagt sich der Stimme die
Kantabilität zugunsten von
Sprechgesang, der Klaviersatz
erscheint aufs äußerste reduziert.
Der Dichter, der Eröd seit seinem
frühen Schaffen begleitet hatte,
Giuseppe Ungaretti (1888– 1970),
begegnet uns in den Canti di un
ottantenne op. 95 (2018/2019). Als
Werk für Bariton und
Streichquartett, greifen diese
„Lieder eines Achtzigjährigen“
Gefühle und Stimmungen des
Dichters so auf, wie sie vom
Komponisten sehr persönlich
nachempfunden wurden. Ein Rätsel
hat uns der Komponist mit dem
Streichersatz des letzten Gesanges,
„La tua luce“ hinterlassen, der einen
zarten, aber doch kaum zu
überhörenden Anklang an Schuberts
„Unvollendete“ aufweist. Zufällige
ähnlichkeit, Absicht – oder doch die
sich aus dem Entwicklungsbogen
ergebende, einzig mögliche
Gestaltungsweise?
Einen Tag vor einer lange geplanten
Herzoperation im Juni 2019, an
deren Komplikationen er verstarb,
vollendete Eröd dieses, sein letztes
Werk. Entstanden als Auftrag der
Gesellschaft der Musikfreunde für
das 150-Jahr-Jubiläum des Wiener
Musikvereins, erfolgte die
Uraufführung fast genau ein Jahr
später, am 18. Juni 2020 im Wiener
Musikverein durch Adrian Eröd und
das Artis-Quartett.
Christian Heindl
Wien, 2023
Adrian Eröd Bariton
Adrian Eröd ist österreichischer
Kammersänger
und einer der
erfolgreichsten
österreichischen
Sänger seiner
Generation.
Neben seinem
Stammhaus, der Wiener
Staatsoper, singt an
internationalen Opernhäusern, ist
gefragter Konzertsänger und
widmet sich mit großer
Leidenschaft dem Lied.
Christoph Traxler Klavier
Der vielseitige
österreichische
Pianist hat sich
sowohl als Solist
als auch als
Kammermusiker
auf den großen
Bühnen und in den Musikzentren
der Welt etabliert.
Michael Nagy Bariton
Der in Stuttgart
geborene Bariton
mit ungarischen
Wurzeln begann
seine musikalische
Laufbahn bei den
Stuttgarter Hymnus-Chorknaben
und studierte Gesang,
Liedgestaltung und Dirigieren
Susanna Klovsky Klavier
Susanna Klovsky
ist Absolventin
der Hochschule
für Musik und
Theater in
München und der
Solistenklasse an
der heutigen Haute École de
Musique Genève-Neuchâtel.
Wiebke Lehmkuhl
Mezzosopran
Die aus
Oldenburg
stammende
Altistin Wiebke
Lehmkuhl ist eine begehrte
Solistin auf den internationalen
Opernbühnen und Konzertpodien
Paul Rivinius
Klavier
Paul Rivinius
studierte Horn
und Klavier und
wurde 1994 in
die Meisterklasse von Gerhard
Oppitz in München
aufgenommen.
Louise Alder Sopran
Die britische
Sopranistin
studierte am
Royal College of
Music und war
die erste Kiri Te
Kanawa
Stipendiatin.
Gary Matthewman
Klavier
Gary
Matthewman ist
einer der
führenden
Liedbegleiter
Großbritanniens.
Æon Quartett
Das Æon Quartett wurde 2010
von Absolventen des
Konservatorium und der
Musikuniversität Wien gegründet.
Das Ensemble spielt auf
Instrumenten aus dem 18. Jahrhundert,
der zarte, dennoch
direkte Klang der Darmsai- ten
macht das Streichquartett zu
einem ungewöhnlichen, sehr
lebendigem Erlebnis.
>Iva´n Ero¨d
Komponist
Iván Erod wurde am 2. Jänner
1936 in Budapest geboren. Nach
unbeschwerten frühen
Kindheitsjahren wurden nach dem
Einmarsch NS-deutscher Truppen
in Ungarn im März 1944 mehrere
Familienmitglieder aus rassischen
Gründen deportiert.
1951 begann Erod sein
Klavierstudium an der Budapester
Ferenc Liszt-Akademie,
Komposition bei Ferenc Szabó
sowie Ungarische Volksmusik bei
Zoltán Kodály.
In Wien begann er 1957 eine
zweite Ausbildung an der
Musikakademie: Klavier bei
Richard Hauser, Komposition bei
Karl Schiske, Zwölftonseminar bei
Hanns Jelinek.
1960 erlangte er auch die
Österreichische
Staatsbürgerschaft.
Erod erhielt 1986 den Musikpreis
der Stadt Wien, 1988 eine
Gastprofessur an der Wiener
Universität für Musik und
darstellende Kunst. Im Jahr 2001
wurden Erod sowohl das Große
Silberne Ehrenzeichens für
Verdienste um die Republik
Österreich als auch das Goldene
Ehrenzeichens für Verdienste um
das Land Wien verliehen.
Als letzte Auszeichnung vor seinem
Tode erhielt er 2019 die John F.
Kennedy Center Gold Medal in
the Arts. Am 24.6. starb Iván
Erod.
Die Iva´n Ero¨d
Gesellschaft
www.ivan-eroed.at
Die Iván Eröd Gesellschaft
bezweckt die Pflege und
Verbreitung der Musik Iván Eröds,
sowie die Erinnerung an den
Komponisten, Pianisten, Lehrer und
Menschen. Als erste CD
Produktion der Gesellschaft
wurden 2023 die Liedzyklen “Iván
Eröd - Lieder” veröffentlicht.