Und die Suche geht weiter. Über meine bisherigen Tellerränder und
Wahrnehmungsgrenzen hinweg, denn ich weiß, dass ich nichts weiß,
außer: SPINNERIN war erst der Anfang, mein erstes Projekt, das sich
bewusst weiblichen Narrativen zuwendet. Und es gibt so viele
Perspektiven! Wir alle leben gut in unseren Bubbles und
Filterblasen, da ist es wohlig und warm, wir bekräftigen uns
gegenseitig in unseren Meinungen und Sichtweisen und können
versichert sein – wir haben recht. Was aber, wenn unsere Sichtweise
eine eingeschränkte und privilegierte ist? Wenn wir nicht sehen
können, was andere tagtäglich erleben?
Du siehst, du siehst, was ich nicht seh‘?
Und genau das interessiert mich. Was meine Nachbarn erleben,
ob sie nun direkt neben mir wohnen, oder viele Kilometer weit weg.
Ob sie ihre Wurzeln hier in Österreich haben, oder anderswo. Rund
ein Viertel meiner österreichischen Nachbarn haben eine
Migrationsbiografie, von ihnen will ich lernen, anstatt über sie zu
hören. Danke Sakina und Natasa. Diskriminierende Erfahrungen und
Alltagsrassismus gehören für viele Menschen zum täglichen Leben,
und das ist für einen großen Teil von ihnen sehr ermüdend. Danke
Amani und alljenen, die dennoch die Kraft aufbringen um auf
Ungerechtigkeiten hinzuweisen. Fast die Hälfte unserer
Bevölkerung hat bereits Erfahrung mit psychischer Erkrankung
gemacht, doch nur die wenigsten haben darüber gesprochen. Danke Nicole, danke Vivi. Ihre Geschichten sind es,
die ich hörbar machen will. Nicht, weil sie selbst keine Stimme hätten, sondern weil wir oft nicht hinhören.
NACHBARIN [a diverse narrative] ist ein transkulturelles Musikprojekt, das unterschiedliche Lebensrealitäten in
Musik übersetzt, mit den handwerklichen Mitteln von dialogischen Interviews, Komposition, Film und Fotografie.
Musik kann so viele Brücken bauen. Sie kann uns Trost spenden und halten. Sie kann uns wachrütteln und ihre
Finger in die offenen Wunden legen, sodass wir endlich dorthin fühlen, wo es schmerzt. Ob im Kollektiv, oder
individuell. Sichtweisen werden weiter, Narrative werden vielfältiger. Und dann passiert Veränderung.
Schon früh erfährt Julia Lacherstorfer Musik in ihren mannigfaltigsten Ausprägungen des Alltäglichen: das
Schnarren der Drehleier des Vaters, das Klackern des Spinnrades der Mutter oder das aus dem Obergeschoß
dringende Akkordeonspiel des Großvaters werden zu vertrauten Klängen und Geräuschen, die Julias
Kinderohren prägen und schließlich den Weg für ihre erfolgreiche Karriere als Musikerin ebnen. Bis heute
schöpft Julia Lacherstorfer Kraft und Inspiration aus diesen musikalischen Erfahrungen und aus der
volksmusikalischen Tradition ihrer Heimatregion, ohne dabei den Sinn für Gegenwärtiges zu verlieren.
Als Komponistin, Performerin (ALMA, SPINNERIN, Ramsch & Rosen) und Intendantin der wellenklænge, Lunz am
See ist sie aus der österreichischen Musikszene längst nicht mehr wegzudenken.